Bern. So schön, wie
unsere kleine Liebesgeschichte mit Bern angefangen hat, so schnell
war sie zu Ende. Dauerregen macht uns einen Strich durch die
Rechnung, wir können nicht starten. Wir sitzen also daheim fest,
planen den nächsten Stopp Genf. Seit zwei Tagen haben wir wirklich
kein Glück mit dem Wetter. Gegen Nachmittag soll es besser werden.
Wir absolvieren unser Radio-Interview, mittlerweile routinierter. Die
Aufregung ist nicht mehr so groß. Das Interesse der Redaktion
allerdings auch nicht. Na klar, Mittelalter ist ein schweres Thema.
Aber man kann es spannend erzählen. Und wenn unsere Reise kein
Abenteuer ist, dann weiß ich auch nicht. Jeden Tag begegnen uns
Dinge, ereignen sich Situationen, die uns an die Kaufleute erinnern.
Wir fühlen uns ihne nahe. Wir laufen Straßen entlang, die auch die
Humpis hinunter geschritten sind. Wir stehen auf denselben Steinen.
Wir stehen in Kirchen, in denen auch vor 600 Jahren schon die
Kaufleute gestanden und gebetet haben. Wir ächzen unter unseren
schweren Rucksäcken und sind froh über unsere Regenjacken und
bewundern gleichsam die Menschen des Mittelalters die über keine so
komfortable Ausrüstung verfügten. Wir freuen uns nach einem
anstrengenden Tag auf ein leckeres Schweizer Raclette und fragen uns,
was wohl die Kaufleute der großen Ravensburger Handelsgesellschaft
auf ihren Reisen gegessen haben. Wo sie gegessen haben. Und wie sie
genächtigt haben. Ganz bewusst haben wir uns bisher auf unserer
Reise gegen ein bequemes Hotelzimmer entschieden. Auch wir
übernachten bei Menschen, die uns eine Herberge bieten. Ohne dafür
etwas zu verlangen. Außer ein nettes Wort am Morgen oder ein
Beisammensitzen am Abend. Wir leben in einer Zeit der Vernetzung. In
einem vernetzen Europa. Wir können uns im Internet mit allen
möglichen Menschen verbinden, sie zu Hause besuchen, uns
austauschen. Auch bei den Humpis ging es um Vernetzung. Sicherlich,
hier war es ein Handelsnetz, dass gesponnen wurde. Dieses Handelsnetz
besteht heute noch. Und auch wir bauen uns um dieses Netz ein
weiteres Netz der menschlichen Begegnungen auf. Sammeln Geschichte,
lernen Menschen, Kuturen kennen. Wie auch die Kaufleute es erlebt
haben müssen. Bleiben nicht anonym, sondern mischen uns unter die
Menschen, in ihre Wohnungen, ihre Autos, ein Stück weit in ihr
Leben. Und sind so viel näher dran. Auch an den Kaufleuten. Das nur
am Rande dieser Reise. Weil es mich doch sehr beschäftigt. Unsere
Spurensuche ist mehr oder weniger zu einer Art Routineuntersuchung
geworden. Wir klappern die wichtigsten Orten anhand eines Stadtplans
ab, informieren uns in der Touristeninformation. Durchstreifen die
Gassen und halten die Augen offen. Oft ist die Spurensuche nicht so
ergiebig. Wir finden alte Gebäude, Straßenzüge, vor allem Kirchen.
Aber wenig spektakuläres, wenig greifbares, besonderes. So auch hier
in Bern, dessen Grundriss der Altstadt nahezu identisch ist mit der
mittelalterlichen Stadt. Auf dem Turm des Münsters sprechen wir mit
dem Turmwart über Bern im Mittelalter, seine Bedeutung als
Handelsstadt, die eher im regionalen, weniger im internationalen
Handel lag. Das hatten wir schon gehört. Im Münster dann doch eine
Spur. Eine Fenstermalerei weist auf das Wappen der Familie Diesbach
hin. Die Familie Diesbach der Diesbach-Watt-Gesellschaft, eine der
größten Konkurrentinnen der Ravensburger Handelsgesellschaft? Wir
wissen es nicht, schreiben es auf und werden es zu Hause
recherchieren. Wir besteigen noch den Rosengarten für einen letzten
Ausblick auf die Altstadt, das Mattequartier, in dem die Flösser,
Gerber und einfachen Leute gelebt haben. Und in dem Casanova ein
Bordell besuchte. Am Abend kommt sogar die Sonne heraus. Ein Blick
auf Eiger, Mönch und Jungfrau bleibt uns aber dennoch verwehrt.
Anne
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