Freitag, 18. September 2015

Auf den Spuren der Humpis - Tag 5

Bern. So schön, wie unsere kleine Liebesgeschichte mit Bern angefangen hat, so schnell war sie zu Ende. Dauerregen macht uns einen Strich durch die Rechnung, wir können nicht starten. Wir sitzen also daheim fest, planen den nächsten Stopp Genf. Seit zwei Tagen haben wir wirklich kein Glück mit dem Wetter. Gegen Nachmittag soll es besser werden. Wir absolvieren unser Radio-Interview, mittlerweile routinierter. Die Aufregung ist nicht mehr so groß. Das Interesse der Redaktion allerdings auch nicht. Na klar, Mittelalter ist ein schweres Thema. Aber man kann es spannend erzählen. Und wenn unsere Reise kein Abenteuer ist, dann weiß ich auch nicht. Jeden Tag begegnen uns Dinge, ereignen sich Situationen, die uns an die Kaufleute erinnern. Wir fühlen uns ihne nahe. Wir laufen Straßen entlang, die auch die Humpis hinunter geschritten sind. Wir stehen auf denselben Steinen. Wir stehen in Kirchen, in denen auch vor 600 Jahren schon die Kaufleute gestanden und gebetet haben. Wir ächzen unter unseren schweren Rucksäcken und sind froh über unsere Regenjacken und bewundern gleichsam die Menschen des Mittelalters die über keine so komfortable Ausrüstung verfügten. Wir freuen uns nach einem anstrengenden Tag auf ein leckeres Schweizer Raclette und fragen uns, was wohl die Kaufleute der großen Ravensburger Handelsgesellschaft auf ihren Reisen gegessen haben. Wo sie gegessen haben. Und wie sie genächtigt haben. Ganz bewusst haben wir uns bisher auf unserer Reise gegen ein bequemes Hotelzimmer entschieden. Auch wir übernachten bei Menschen, die uns eine Herberge bieten. Ohne dafür etwas zu verlangen. Außer ein nettes Wort am Morgen oder ein Beisammensitzen am Abend. Wir leben in einer Zeit der Vernetzung. In einem vernetzen Europa. Wir können uns im Internet mit allen möglichen Menschen verbinden, sie zu Hause besuchen, uns austauschen. Auch bei den Humpis ging es um Vernetzung. Sicherlich, hier war es ein Handelsnetz, dass gesponnen wurde. Dieses Handelsnetz besteht heute noch. Und auch wir bauen uns um dieses Netz ein weiteres Netz der menschlichen Begegnungen auf. Sammeln Geschichte, lernen Menschen, Kuturen kennen. Wie auch die Kaufleute es erlebt haben müssen. Bleiben nicht anonym, sondern mischen uns unter die Menschen, in ihre Wohnungen, ihre Autos, ein Stück weit in ihr Leben. Und sind so viel näher dran. Auch an den Kaufleuten. Das nur am Rande dieser Reise. Weil es mich doch sehr beschäftigt. Unsere Spurensuche ist mehr oder weniger zu einer Art Routineuntersuchung geworden. Wir klappern die wichtigsten Orten anhand eines Stadtplans ab, informieren uns in der Touristeninformation. Durchstreifen die Gassen und halten die Augen offen. Oft ist die Spurensuche nicht so ergiebig. Wir finden alte Gebäude, Straßenzüge, vor allem Kirchen. Aber wenig spektakuläres, wenig greifbares, besonderes. So auch hier in Bern, dessen Grundriss der Altstadt nahezu identisch ist mit der mittelalterlichen Stadt. Auf dem Turm des Münsters sprechen wir mit dem Turmwart über Bern im Mittelalter, seine Bedeutung als Handelsstadt, die eher im regionalen, weniger im internationalen Handel lag. Das hatten wir schon gehört. Im Münster dann doch eine Spur. Eine Fenstermalerei weist auf das Wappen der Familie Diesbach hin. Die Familie Diesbach der Diesbach-Watt-Gesellschaft, eine der größten Konkurrentinnen der Ravensburger Handelsgesellschaft? Wir wissen es nicht, schreiben es auf und werden es zu Hause recherchieren. Wir besteigen noch den Rosengarten für einen letzten Ausblick auf die Altstadt, das Mattequartier, in dem die Flösser, Gerber und einfachen Leute gelebt haben. Und in dem Casanova ein Bordell besuchte. Am Abend kommt sogar die Sonne heraus. Ein Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau bleibt uns aber dennoch verwehrt.

Anne

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